Wie man ein Stück zu Tode inszeniert

Nach einem grandiosen “Schimmelreiter” (siehe Kritik vom 09.09.) zeigt die Landesbühne Niedersachsen Nord jetzt “Sterben helfen”


Wohin führt die Möglichkeit, sein Leben jederzeit selbst beenden zu dürfen? Was passiert, wenn aus Selbstbestimmung (über den eigenen Tod) plötzlich die Erwartungshaltung (von Angehörigen und der Gesellschaft) wird, niemanden mit unheilbarer Krankheit und Leid zu behelligen?

Klischees und Plattitüden

Es ist ein schwieriges Thema, dem sich der Autor Konstantin Küspert widmet. Und dabei vor lauter gutem Willen leider ins Schleudern gerät. Küsperts Texte werden von der Süddeutschen Zeitung für ihre “stilistische Komplexität” gelobt. Diese Komplexität gerät ihm bei “Sterben helfen” leider zu einem Sammelsurium an unverbundenen Ideen, Klischees und Plattitüden.

Zum roten Faden: In einer Gesellschaft, in der ein als nicht mehr lebenswert erachtete Leben mit einem schnell wirkenden Gift selbstbestimmt beendet werden kann, erfährt die schwangere Managerin Lucy, dass sie an Krebs erkrankt ist. Die Schwangerschaft muss abgebrochen werden und Angehörige wie Freunde erwarten, dass sie nun in Würde stirbt. So wie ihre Mutter es getan hat: Eine großes Abschiedsfest und dann ab ins Krematorium.

Aber Lucy will nicht sterben. Sie entscheidet sich für eine Chemotherapie, für Schmerz und ein langes Sterben, begleitet von ihrer geliebten Frau und ihrem kleinen Sohn. Zum Ärger ihrer Umwelt – stellt sie doch alle Werte einer Gesellschaft, in der qualvolles Sterben geächtet ist, in Frage. Denn hier geben sich Hedonismus und eine medizinische Kosten-Nutzen-Rechnung die Hand.

Leider wird gerade diese Umwelt immer wieder nur angedeutet und ist bevölkert von eindimensionalen Figuren, deren eigene Leben nur behauptet, nicht aber gezeigt werden. Sie dienen nur als Textsprecher, bleiben figurative Klischeebilder und dürfen als solche auch nur altbekannte Phrasen über das Leben, Sterben und die Krankenversorgung in Zeiten des Turbokapitalismus herunterspulen. Auch ein Text über das Sterben hätte ein wenig mehr Leben verdient.

Konzeptlose Regie

Unter der Regie von Katka Schroth kommt in der Inszenierung dann auch noch die Komponente der Demenz hinzu. Spielideen werden aufgegriffen und verschwinden spurlos wieder im Nichts, Ebenen werden angedeutet, aber nicht ausgespielt, statt gesetzter Gänge rennen, stolzieren und stolpern die Schauspieler recht ziellos durch ein überfrachtetes, ohne Sinn und Verstand zugestelltes Bühnenbild und die Schauspieler wechseln die Figuren, sprechen und spielen danach aber, als hätten diese Wechsel gar nicht stattgefunden.

Die wenigen gut gesetzten, starken Bilder (in einer Szene wird Lucy zum Beispiel wortwörtlich mit Klebeband ans Bett gefesselt) werden weder optisch noch spielerisch zusammengefügt. Eine Ansammlung von unausgereiften Regieeinfällen (hier eine schier endlose Balgerei, dort ein Heraustreten der Schauspieler aus dem Spiel) und nicht zu Ende geführten, pointenlosen Szenen hinterlassen insgesamt den Eindruck großer Konzeptlosigkeit. Denn auch, wenn man das Konzept des Theaters als Labor zur Erforschung von Gesellschaftszusammenhängen zugrunde legt, wenn man dem Publikum zeigt, schaut her, wir bleiben Schauspieler, die nur kurz in Rollen schlüpfen, um eine Idee auszuprobieren, muss ein solches Inszenierungskonzept doch von der Regie durchdacht, beherrscht und von Anfang bis Ende stringent geführt werden. Und das ist hier leider ganz und gar nicht der Fall.

Hilflose Schauspieler

Bei einem solchen Text und einem derartigen Regiechaos bleibt den Schauspielern der Landesbühne leider keine Chance. Zu blass sind die Figuren, um sie mit Leben zu füllen, zu vollgemüllt die Bühne, um wenigstens ein paar klare, das Spiel unterstützende Gänge zu laufen. Kaum eine Geste, kaum ein Impuls sitzt. Das gesamte Ensemble wirkt hilflos und uninspiriert. Selbst das hin und wieder angewandte Brüllen und Schreien hebt die Rezitation des Textes nicht aus der Monotonie hervor, weil auch die lauten Stellen, ebenso wie die wenigen leisen Töne, leblos bleiben.

 

Ein blasser Text, eine konzeptlose Regie und hilflose Schauspieler in einem überladenen Bühnenbild – diese Inszenierung der Landesbühne hat dem Leben ein paar wertvolle Stunden geraubt.

(Foto: Landesbühne Niedersachsen Nord)