Gemetzel im Heiligenbild
Stefan Puchers Inszenierung von Arthur Millers “Hexenjagd” im Hamburger Thalia-Theater
Arthur Millers Hexenjagd erlebt auf den deutschsprachigen Bühnen der letzten Jahre eine echte Renaissance. Kein Wunder, greift der Stoff mit der Wirkung von falschen Informationen doch einen Aspekt auf, der so richtig in die Jetztzeit zu passen scheint. Die wissentliche Verbreitung von falschen Nachrichten als Mittel zur Durchsetzung eigener egoistischer Motive ist eines der zentralen Themen der „Hexenjagd“. Was Miller noch als Allegorie auf die Verfolgung von Kommunisten zur Zeit der McCarthy-Ära entwickelt hatte, ist heute bedrückend aktuell.
Stefan Pucher hat diesen Stoff im Hamburger Thalia-Theater nun in bemerkenswerter Weise zur Aufführung gebracht. Das Publikum erlebt eine tief religiöse, gottesfürchtige und lebensfeindliche Dorfgemeinschaft in Salem (Massachusetts), in der Kinder mit harten Strafen auf den rechten Weg des Glaubens getrimmt werden. Als eine Gruppe von Mädchen bei einem okkultem Tanzritual mit der Sklavin des Dorfpfarrers Parris (Julian Greis) von eben diesem Pfarrer entdeckt werden, ist die Angst vor den harten Sanktionen so groß, dass sich einige der Kinder in eine Art Schockstarre flüchten. In der Dorfgemeinschaft beginnt die Suche nach der Ursache für dieses „unnatürliche Verhalten“. Dass die Erklärung „Hexerei“ sein könnte, kommt dabei etlichen Akteuren sehr recht, bieten die strengen Kirchengesetze doch die Möglichkeit, Konkurrenten und Konkurrentinnen aus dem Weg zu räumen, von eigenem Fehlverhalten abzulenken oder alte Rechnungen zu begleichen Man muss nur den unliebsamen MitbürgerInnen einen Pakt mit dem Teufel anhängen. Auf diese Weise versuchen die Großgrundbesitzer Ann und Thomas Putnam (Annalena Haering und Oliver Mallison) ihren Besitz zu vergrößern. Dorfpfarrer Parris lenkt so von seinen Erziehungsfehlern bei seiner Tochter Abigail (Antonia Bill) ab und diese nutzt die allgemeine Hysterie, um die Ehefrau ihres Geliebten John Proctor (Jörg Pohl), mit dem sie ein kurzes Verhältnis hatte und den sie fanatisch liebt, an den Galgen zu bringen.
Das Ausräumen von Menschen funktioniert bei Miller nur, weil die gesellschaftlichen Bedingungen es zulassen, dass die Wahrheit negiert wird. Die Deutungshoheit, was wahr und falsch ist, obliegt im Stück der Kirche. Widerspruch wird nicht geduldet. Kritik am totalitären Anspruch mit Strafe verfolgt.
Das Bühnenbild von Barbara Ehnes stellt diesen Gedanken plastisch dar. Die gesamte Bühnenhandlung findet unter einem stilisierten Spitzdach eines Kirchenschiffes statt. In der Mitte der Drehbühne befindet sich eine sich pyramidal, nach oben verjüngende begehbare Holzkonstruktion. Beide Elemente – Dach und begehbares Bühnenbild- assoziieren die Gestaltung historischer Heiligenbilder. Durch die Aufgänge von der Pyramidenspitze, die jedoch den mit Macht ausgestatteten Figuren vorbehalten ist, wird der absolute Deutungsanspruch auch bildlich untermalt. Der heilige Geist verkündet die wahre Botschaft.
Das zentrale Gefühl, dass eine Inszenierung der Hexenjagd beim Betrachter erzeugen muss, ist das der Angst. Tatsächlich kann ein Bühnenbild dies alleine erzeugen. So ließen sich aufgeknüpfte Menschen, die an Galgen baumeln oder eine blutverschmierte Bühne denken. Pucher wählt einen anderen Weg. Statt Gruselelemente lässt er seine Figuren chorisch Psalme mit heftigen Beats singen. Auf diese Weise kommt die irrationale, ekstatische Grundhaltung besonders des als Einpeitscher fungierenden Gerichtspräsidenten Danforth (Rafael Stachowiak) zur Geltung.
Allerdings muss sich Pucher an dieser Stelle auch die Frage stellen lassen, ob er die Ernsthaftigkeit des Stücks durch die Wirkung eines feixtanzenden Richters untergräbt – schließlich sind durch die Hexenprozesse real reichlich Personen hingerichtet worden.
Die Regie vermeidet es generell, dass Stück allzu düster zu inszenieren. Dazu trägt besonders die Ausgestaltung der Rolle des John Proctors bei. Er ist Abigails Idol und kommt damit als fleischgewordener Teenagertraum in Gestalt eines James Dean Verschnitts lässig in Jeansjacke und Cowboystiefeln daher. Schnoddrig und nicht ohne Witz kommentiert er das närrische Treiben der Dorfgemeinschaft, bis er diesem zum Opfer fällt.
Recht blass bleiben jedoch die beiden zentralen Frauenfiguren des Stücks. Pucher lässt weder Antonia Bill als Abigail noch Marina Galic als Elisabeth den Freiraum, ihre eigentlich gefühlsbetonten Rollen voll auszuspielen. Das ist schade, weil wir von beiden Schauspielerinnen wissen, dass sie dies können und sie auf diese Weise die Dramatik der Handlung noch hätten steigern können. Vermutlich war hier die Angst des Regisseurs vor zu viel Gefühlsduselei der Vater dieser Anlage.
In Millers Drama taucht die Sklavin Tituba, die Pastor Parris Haushalt schmeißt, als farbige Frau aus Barbados auf. Sie wirkt auch durch ihre gebrochene Sprache als Fremdkörper im Stück. Pucher nimmt dies auf und führt es grandios zu Ende. Er steckt mit Sylvana Seddig eine begnadete Tänzerin (und auch Choreographin) in ein an einen Flamingo mit vier langen Armen erinnerndes Kostüm und lässt sie in diesem sowohl als Tituba als auch als Berichterstatterin über die Geschichte der realen Hexenprozesse auf die Bühne. Damit bekommt der „Fremdkörper“ einen ordnenden Sinn, da dem Zuschauer immer wieder der historische Bezug der Bühnenhandlung präsent wird. Zudem verliert der düstere Millersche Schluss etwas seinen Schrecken, wenn Tituba erklärt, wie die Regierung im 17. Jh. dem mörderischen Treiben der christlichen Gemeinschaft in Salem ein Ende gesetzt hat.
Gottseidank.
Hexenjagd. Thalia Theater, Hamburg
nächste Aufführungen:
23. November 2018, 19.30 Uhr
06. Dezember 2018, 19.30 Uhr
08. Januar 2019, 19.30 Uhr
09. Januar 2019, 19.30 Uhr